Der Obsteiger Dorfchronist Hubert Stecher stellt Beiträge über unseren Heimatort Obsteig auf ObsteigAktuell für alle Interessierten ins Netz. |
Eine der ältesten religiösen Handlungen der Menschheit ist der je nach verschiedenen Völkern und Religionen ausgeprägte Totenkult. Verstorbene wurden fast nie der Ewigkeit übergeben, ohne dass man sich gebührend von ihnen verabschiedete. Erst dann brachte man sie – oft mit Beigaben – in ihre Hügelgräber, Urnen, Moore, Grabkammern oder kirchliche Friedhöfe. Auf hoher See war es der Kapitän des Schiffes, der eine religiöse Feier leitete, bevor man den Leichnam dem Meer anvertraute.
Viele Friedhöfe im christlichen Mitteleuropa hatten seit alter Zeit neben der Kirche eine Totenkapelle. Manche dienten als Beinhaus, in dem man exhumierte Knochen verwahrte, wenn sie beim Ausheben eines neuen Grabes zu Tage traten. „Karner“ nennt man diese Beinhäuser, von denen es allein in Niederösterreich über 300 gibt, vielfach kostbare Baudenkmäler aus der Romanik oder Gotik. In den Alpen sind Totenkapellen oft dem Hl. Michael geweiht. Er trägt als Symbol die „Seelenwaage“, auf der die guten und schlechten Taten der Menschen gewogen werden.
Im 19. Jahrhundert stand an der Nordwest-Ecke des Obsteiger Friedhofs eine alte, kleine und zum Teil hölzerne Kapelle, die baulich schon schlecht war und abgetragen werden musste. Welchem Zweck sie diente und wem sie geweiht war, ist nirgends ersichtlich.
Am 20. August 1892 schenkte Magnus Schneider („Mong“) aus Gschwent dem Pfarrer Lambert Schatz 2400 Kronen zum Bau einer neuen Totenkapelle an Stelle der alten. Vor deren Fertigstellung starb der Spender im Jahr 1894. Bürgermeister zur damaligen Zeit war Alois Wille aus Finsterfiecht.
Mit der Planung und Ausführung wurde Baumeister Heinrich Hörmann aus Mötz beauftragt. Dieser entwarf einen Sakralbau im Ausmaß von ca. 6 mal 5 Metern, einschließlich der kleinen Rundapsis. Das Dach trug einen kleinen hölzernen Glockenturm. Wegen des abschüssigen Geländes war die Unterfangung des Gebäudes mit einem starken Fundament notwendig.
Die gesamten Baukosten beliefen sich auf 2300 Kronen. Die Malerarbeiten (ein gewisser Huber aus Wien und Carl Mair aus Wattens, insg. 136 Kronen) finanzierte die Familie Spielmann aus Barwies.
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Die Statuen (Kreuz, darunter Maria und Johannes) schuf Vogl aus Hall um 180 Kronen.
Zu Kirchweih (im Oktober) 1895 konnte der vollendete Bau von Abt Stefan Mariacher aus Stams eingeweiht werden.
Die Kapelle stand 87 Jahre lang in der Friedhofsecke. Sie wurde nicht so häufig genutzt wie die heutige, neue Aufbahrungshalle, da bis 1982 in Obsteig fast nur Hausaufbahrungen erfolgten. Kurzzeitig untergebracht wurden fast nur Verunglückte von auswärts (Verkehrsunfälle, Bergopfer…) bis sie von Bestattungsunternehmen abgeholt, bzw. auch identifiziert wurden.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Sakralbau vom damaligen Pfarrer Alberich Gerards auch zur Kriegergedächtnis- Kapelle geweiht.
Bleistiftzeichnung eines Obsteiger Gastes im von Jahr 1971.
Einschneidend im wahrsten Sinn des Wortes war der Neubau der Bundesstraße durch Obsteig. Der Verbreiterung der Fahrbahn fielen die Nordmauer des Friedhofs und auch die Totenkapelle zum Opfer. Zum Bau der neuen Aufbahrungshalle musste daher auch die Bundesstraßen-Verwaltung finanziell beitragen.
Kleine Reste der alten Kapelle sind noch erhalten: Das Kreuz steht in der oberen, . . .
. . . die Statuen von Johannes und Maria in der unteren Sakristei, . . .
. . . und das Türmchen mit der kleinen Glocke verschläft die Zeit in einem Garten in der Mooswaldsiedlung.
(Quellen: Pfarrarchiv, Chronik Obsteig)