Chronik: Marketenderinnen

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Der Obsteiger Dorfchronist Hubert Stecher stellt Beiträge über unseren Heimatort Obsteig auf ObsteigAktuell für alle Interessierten ins Netz.
Die Marketenderin

Die Marketenderin

Über die Tiroler Schützen, die Musikkapellen, die Volkstumsgruppen und die heimische Brauchtumspflege wurden schon viele Bücher geschrieben und wird immer wieder Neues publiziert. Neuerdings befassen sich auch gerne Zeithistoriker damit und  fordern zu immer besserer und genauerer Durchleuchtung und Verarbeitung der jüngeren Vergangenheit und der Instrumentalisierung des offen getragenen Tiroler Volkstums durch politische Kräfte auf.
Weit entfernt von solchen Fragestellungen freue ich mich jedesmal aufs Neue über das Erscheinungsbild unserer Schützen und Musikanten, die in konzentrierter Form etwas vom Selbstbewusstsein und dem gemeinsamen Traditionsdenken der Bevölkerung ausdrücken, das nicht leicht in Worte zu fassen ist, aber hier präsent wird.
Viel beklatscht und noch öfter fotografiert werden die Formationen. Und bei diesen vor allem die Fahnen und die Marketenderinnen. Hübsch und mit Blumen in den Armen geben sie der männerdominierten Truppe eine besondere Note und frischen das Bild auf. Vielfach geht der Spruch: Sie sind die Zierde der Kompanie.
Es drängt sich auf, einmal nicht über Schützentradition, sondern über Herkunft und Namen der Marketenderin nachzudenken.

Marketenderin1521
Bild einer Marketenderin um 1521 (Kunstmuseum Basel).
 

Gleich vorweg: Die Geschichte dieser Frauen muss man in zwei Zeitabschnitten sehen, die miteinander so gar nichts zu tun haben. Sie haben nur die Bezeichnung „Marketenderin“ gemeinsam. Diese Bezeichnung kommt vom lateinischen „merces“, d. i. „Lohn, Preis“. Händler hieß deswegen „mercator“. Als in Mitteleuropa, von Italien ausgehend, die Söldnerheere aufkamen, Heere, die gegen Geld für jemanden ins Feld zogen, folgte ihnen ein Tross mit allerlei Menschen. In Planwagen, zu Fuß oder zu Pferd sah man die Heeres-Wundärzte, Männer oder Frauen mit  verschiedenen Handelswaren, Gepäck und Munitionsnachschub, Verpflegung und Werkzeug. Nicht zu vergessen sind die Militärseelsorger. Was wir uns heute nicht mehr vorstellen können, waren auch die Söldnerfrauen – auch oft mit Kindern – die mit ihren Männern zogen. Denn wenn es etwas zu plündern gab, waren vier Hände wertvoller als zwei. Ebenso brauchten viele raue Männer neben ihrem harten, blutigen Beruf in den Lagern etwas Weibliches, bei dem man sich erholen, ausweinen und trösten konnte. Auch dafür gab es Frauen –  andere Frauen –  diese allerdings gegen Geld. Und so zogen die Heere durch die Länder, oft Jahre lang. Sie verheerten, plünderten, mordeten, brannten, vergewaltigten und liebten. Es ist wahr, dass manchmal der Tross größer war als die kämpfende Truppe. Und alle Frauen, die irgend einen Handel trieben, ob mit Waren oder Gunst, nannte man Marketenderinnen. Und diese Bezeichnung hat sich über zwei Jahrhunderte bis heute gehalten. 1776 wurde die Anordnung erlassen, dass Frauen ihren Männern nicht mehr in den Krieg folgen durften.
In der Mitte des 18. Jahrhunderts begannen dann in Tirol Diskussionen, anstatt der   
fallweisen Einberufung und dem Söldnertum eine fixe Garnison aufzustellen. Die Tiroler schossen zwar gut, aber sie hatten von strategischem Vorgehen und von Kriegsdisziplin wenig Ahnung, sie waren „ungeschückht“, da sie ja in Friedenszeiten Bauern und Handwerker u.a. waren. Der Landesfürst wollte ein „stehendes Heer“, das ständig trainieren und exerzieren sollte und jederzeit kriegstüchtig war. Um eine gewisse Truppenstärke jedoch für längere Zeit unterzubringen, bedurfte es zahlreicher Quartiere. Die Männer wurden z.B. in Innsbruck in Bürgerhäusern und Gasthöfen untergebracht, die Kosten wurden zwischen Staat und Land aufgeteilt. Kasernen gab es erst später.
Mit dieser Änderung hörte das Marketender-Wesen nach und nach auf.
Damit ist der erste Zeitabschnitt endgültig Geschichte.

 
Frauen traten erst wieder im Zusammenhang mit den napoleonischen Kriegen (1797 , 1809), da und dort in Erscheinung, allerdings meistens nicht an vorderster Front. Eine Ausnahme ist der überlieferte Einsatz von Katharina Lanz (das „Mädchen von Spinges“) im April 1797, die mit einer Gabel auf der Friedhofsmauer die anstürmenden Franzosen bekämpfte und durch  ihren Mut den verzagten Tirolern wieder Auftrieb gab. – Ein weiteres Auftreten kämpfender Frauen war im November 1809, als 120 Frauen im „Giggler Tobel“ im Paznaun ihren Männern halfen, die Bayern aus dem Tal zu treiben.  Auf dem Riesenrundgemälde von Zeno Diemer über die Schlacht am Bergisel (13. August 1809) sind nur zwei Frauen zu sehen. Eine reicht dem Verwundeten ein Glas Wein, die andere beweint einen toten Burschen.   

 

Ein knappes Jahrhundert wurde es still um den Kontakt zwischen Frauen und militärischen Dingen. Die Männer erprobten an Schießständen ihre Treffsicherheit,
Frauen durften nur als Schießstands-Wirtinnen und Kellnerinnen in Erscheinung treten. Ein direkter Umgang mit  Gewehren war für sie nicht denkbar. Immer mehr setzte sich das Geschlechts-Spezifische durch, nach dem nur Männer für Krieg und dergleichen zuständig waren, Frauen aber eher die „zu verteidigenden Wesen“ waren, für die  das Gute, Schöne, Liebe und die Kinder vorbehalten blieben.
Um die Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden in Österreich und Deutschland die Schützenbünde, es wurden nicht mehr nur örtliche und regionale Schießen, sondern
nationale und noch weitere Wettkämpfe ausgetragen. Natürlich gab es auch Frauen, die unbedingt daran teilnehmen wollten. Doch sie stießen vorerst auf harten Widerstand. In den Schützenzeitungen wurde diese Frage immer wieder kontrovers thematisiert. „Gewehre sind zum Töten und daher nichts für Frauen, die dazu da sind, Leben zu schenken“, so die vorherrschende Meinung.
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde von höchster Seite dazu aufgefordert, das alte, tirolisch-patriotische Gefühl wieder mehr zu beleben. Alles, was an die Freiheitskämpfe erinnert, wurde aus Archiven und Ähnlichem ausgegraben.  Es wurden alte Fahnen hervorgeholt, neue angeschafft. Frauen wurden deren Patinnen, sie und Ehrenjungfrauen  durften die Fahnen bei Ausrückungen begleiten. Immer mehr, immer öfter, immer selbstverständlicher traten Frauen mit den Kompanien  auf.
Den ersten Höhepunkt erreichte die weibliche Begleitung 1909 beim großen Gedenkzug der Schützen und Musikkapellen in Innsbruck. Im Beisein des Kaisers Franz Joseph I. erinnerte man sich des Freiheitskampfes von 1809. Obsteig war mit 45 Schützen und 45 Musikanten vertreten. Beide Formationen hatten zum ersten Mal in ihrer Geschichte je zwei Marketenderinnen mit. Zwei von ihnen sind bekannt, und zwar Amalia Thaler (Xander in Wald,) und Anna Thaler (Jocheler in Wald). Es blieb aber vorerst dabei, dass die Frauen nur bei ganz besonderen Anlässen die Mannschaften begleiteten (das erste Mal wieder 1934). Sie trugen dabei nicht die Musikanten- oder Schützentracht, sondern ihre eigene oder ein Dirndl. Erst als die Schützenkompanie im Jahr 1956 und die Musikanten 1957 ihre neue Tracht erhielten, wurden die Marketenderinnen in entsprechend angeglichener Weise gekleidet.

 

OB-Marketenderin193x
Zwei Obsteiger Marketenderinnen in der Zwischenkriegszeit um 1930.
 

Musikmarketenderinnen1999
Die Musikmarketenderinnen Sabine Neurauter, Doris und Karin Gassler, Isabella Mantl und Michaela Schaber im Jahr 1999.
 

Schuetzenmarketenderinnen2004
Die Schützenmarketenderinnen Laura Partner, Anna Patterer, Daniela Exner und Tina Brunner im Jahr 2004.

 

Schuetzen1956
1956: Schützen beim Umgang mit den Marketenderinnen

OB-Schuetzen1960
1960: Schützen beim Umgang inkl. Marketenderinnen 

 OB-Schuetzen1975
Gruppenbild der Schützen 1975. Marketenderinnen Margit Auer und Annemarie Mantl.
 

OB-Musik1965
Marschierende Musikanten ca. 1965.
 OB-Musik1986
Marsch der MK Obsteig 1986. Marketenderinnen Cornelia Gassler (verh. Werthmann), Elisabeth Schaller (verh. Floriani), Heidi Schaber (verh. Bombardelli) und Irene Auer (verh. Oberguggenberger).

Sie gehen heute bei jeder Ausrückung mit – nicht mehr wegzudenken! Sie würden uns sehr fehlen.

(Quellen: Veröffentlichungen des Südtiroler Landesarchivs,  Dorfchronik Obsteig)   

 

 

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